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Interview zu 50 Jahre NVA


"Ich fühlte mich dreifach isoliert"


Der 1. März ist in der DDR der Tag der Nationalen Volksarmee (NVA) gewesen. Heute vor 50 Jahren wurden zum ersten Mal Rekruten vereidigt. Die SED-Führung scheute keinen Propagandaaufwand, um die Jugend vom Waffendienst zu begeistern. 18 Monate waren Pflicht für die Männer. Wer den Dienst an der Waffe ablehnte, versuchte ein so genannter Bausoldat zu werden. Wer total verweigerte, musste ins Gefängnis.Manche Männer dienten gern, viele länger für einen Studienplatz. Anderen, wie dem Autor Joerg Waehner, wurde die NVA zur Qual. tagesschau.de sprach mit ihm über seine Zeit bei der so genannten "Asche", über Bespitzelungen und Solidarität.

tagesschau.de: Sie sind 1982 recht abrupt zur Nationalen Volksarmee einberufen worden – wie kam das?

Joerg Waehner: Ich war nach einer Denunziation verhaftet worden. Man warf mir staatsfeindliche Hetze und geplante Republikflucht vor - das ging auf Aussagen von Stasi-Spitzeln zurück. Aber man stellte dann schnell fest, dass die Vorwürfe nicht stimmten. Da die konstruierten Beweismittel für eine sofortige Verurteilung nicht ausreichten, hat man mich sofort zur Armee eingezogen, um mich weiter zu isolieren und weiter beobachten zu können. Das erschien mir damals als das kleinere Übel.

tagesschau.de: Wie haben Sie Ihren ersten Tag in Uniform erlebt?

Waehner: Natürlich war das ein Schock. Ich hatte zwar gehofft, statt einer Verurteilung zur Armee geschickt zu werden. Ich fühlte mich dann aber dreifach eingesperrt. Ich war in der DDR eingesperrt, konnte mich selbst innerhalb des Landes nur bedingt bewegen, weil man mir meinen Ausweis weggenommen hatte und befand mich nun in einer Kaserne. Und dann bekam meine damalige Freundin fast zeitgleich die Ausreisegenehmigung. Als Soldat durfte ich keinen Kontakt zu ihr aufnehmen.

Warnung von Vorgesetzten

tagesschau.de: Wie sind Ihnen die Vorgesetzten gegenübergetreten? Sie wussten doch von Ihrer Vorgeschichte.

Waehner: Man war mir gegenüber zunächst sehr vorsichtig, und darin steckte auch Respekt. Später haben mich auch Vorgesetzte vor Spitzeln gewarnt, vor Stubenkameraden und Vorgesetzen. Ich wurde auch gewarnt, mit meiner Post vorsichtig zu sein. Gleichzeitig hatte man mich bei Stubenkontrollen „auf dem Kieker“. All das, auch die Warnungen, hat in der ohnehin eingeschränkten Situation meine Isolation noch vergrößert.

tagesschau.de: Andererseits stießen Sie aber auch nicht auf völlige Ablehnung.

Waehner: Natürlich habe ich nicht nur negative Erlebnisse gehabt, sondern auch Solidarität von Kameraden und Vorgesetzten erfahren, auch von solchen, die selbst Spitzel waren. Insofern war die NVA für mich eine konzentrierte Form der DDR.

"Verlust ziviler Maßstäbe durch Kasernierung"

tagesschau.de: Viele ehemalige Soldaten berichten, dass sie bei der Armee erheblichen Schikanen ausgesetzt waren. Haben Sie das auch erlebt?

Zur Person

Joerg Waehner, Jahrgang 1962, wurde im April 1982 in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) unter dem Verdacht der geplanten Republikflucht, Herabwürdigung der DDR und der staatsfeindlichen Hetze verhaftet. Mangels Beweisen wurde er sofort zur Armee eingezogen und diente in einem Pionierbataillon bei Pirna. Joerg Waehner lebt als Schriftsteller in Berlin. Seine Zeit bei der NVA beschreibt er in dem soeben erschienen Buch "Einstrich-Keinstrich" (Kiepenheuer & Witsch)


 

Waehner: Es gab Schikanen wie das Stubenreinigen oder mitten in der Nacht Kartoffeln zu schälen, aber man muss das differenziert betrachten. Ich glaube, dass das etwas ist, was Militär aus einem macht. Das Eingesperrtsein und die militärische Routine erzeugen erst diese Handlungsabläufe. Wenn Menschen in eine so extreme Situation gestellt werden, zeigen sich ihre Charakterzüge viel deutlicher. Wenn man erst nach 20 Wochen Kasernierung den ersten Urlaub bekommt, verliert man die zivilen Maßstäbe.

tagesschau.de: Immerhin haben sie offenbar keine körperlichen Qualen erleiden müssen.

Waehner: Ich habe die ganze Zeit darauf geachtet, dass ich keine Strafe bekomme, die meine Dienstzeit verlängert hätte. Ich wollte keine Sekunde länger in der Kaserne bleiben, als unbedingt notwendig. Ich wusste ja, dass bei unseren Manövern Leute schwer verletzt und ums Leben gekommen sind.

Von Vertrauten bespitzelt

tagesschau.de: Hatten Sie Vertraute?

Waehner: Die gab es, aber Vertrauen konnte nur gedeihen, so weit es das Misstrauen zuließ. Ich wusste ja nie, wer Informationen über mich weiter gab. Und wenn sich zu jemanden Vertrauen herausbildete, wurde gleich versucht, die als Spitzel anzuwerben. Man hat ja gerade in so einem beschränkten Rahmen das Bedürfnis, sich auszutauschen. Einer hat auch gleich alles brühwarm ausgeplaudert. Da ist der Druck, vorsichtig zu sein, um so größer.

tagesschau.de: Sie mussten sich ständig kontrollieren.

Waehner: Die Willkür war ja nicht berechenbar. Ich wusste auch angesichts meiner vorausgegangenen Verhaftung nicht, was mich nach dem Ende meiner Armeezeit erwarten würde. Ich wusste nicht, wie es beruflich und privat weitergehen würde. Jeder Tag brachte mich dem Ende des Militärdienstes näher, aber er brachte nicht wirklich Hoffnung, dass das Leben normal werden würde.

Heimliches Tagebuch

tagesschau.de: Sie haben in dieser Zeit Tagebuch geschrieben – auch das war nicht ungefährlich.

Waehner: Das war strengstens verboten und ich habe es auch versucht, zu verstecken. Trotzdem wurde es einmal bei einer Kontrolle entdeckt. Später habe ich es immer unter der Uniform getragen, damit es nicht gefunden wurde. Das war für mich die einzige Form, die Zeit für mich zu dokumentieren.

tagesschau.de: Haben Sie Verständnis für die derzeitige Ost- und NVA-Nostalgie?

Waehner: Natürlich nicht. Ich will niemandem absprechen, sich zu erinnern. Andererseits habe ich durch die Artikel und Filme der jüngsten Zeit fast schon an meinen Erinnerungen gezweifelt. Und weil ich andere Dinge erlebt habe, habe ich ja auch mein Buch geschrieben. Ich möchte niemandem vorschreiben, wie er sich zu erinnern hat. Aber ich will zumindest sagen, wie meine Erinnerung ist. Es gibt DDR-Symbole wie Fahnen, Hemden oder Uniformen, die einfach nicht unbelastet sind. Es sind immer noch Zeichen von Unterdrückung und Zwang. Es ist nichts Entleertes, was man aus nostalgischen oder modischen Gründen tragen kann.

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de



Interview mit Joerg Waehner

Interview von Ralf Strohbach


Joerg Waehner, Autor des Buches Einstrich-Keinstrich, war so freundlich und gab Media-Mania ein Interview.


MM: Wie haben sie den Mauerfall erlebt?

Mit Ungeduld. 1989 wohnte ich in Berlin-Baumschulenweg. Als am 9. November auf DDR II Schabowskis Pressekonferenz live übertragen wurde, noch vor der Abendschau, heute und der Tagesschau, schnappte ich mir meine Freundin, und wir sind sofort zum Übergang Sonnenallee gelaufen.
Zu den Grenzern war noch nichts von Schabowskis “ab sofort“ vorgedrungen. Schämte mich fast meines “Übereifers“. Gegen 20:30 Uhr standen wir wieder am Schlagbaum. Jetzt herrschte Volksfeststimmung. Jemand begann, das Grenzgebietsschild abzuschrauben - unter Beifall -, was ich in diesem Moment ungeheuerlich fand. Ein Japaner stand unter den Wartenden und ein amerikanischer Korrespondent. Beide wurden zum Checkpoint Charlie, dem Übergang für Ausländer verwiesen. Wohl ein Autoritätsaufbäumen der Zöllner. Es hagelte Proteste der Umstehenden, “...in this historical moment..“, entrüstete sich der Ami. Alle Ossis sollten rüber können, nur der Amerikaner und der Japaner nicht!
Kurz vor Mitternacht kamen wir durch die Zollabfertigung in den Westen. Hinter dem Grenzübergang schwiegen die meisten, einige weinten ergriffen. Dann wieder Jubel. Fahrzeuge überholten uns, andere rannten vorbei. Vor einem Imbiss-Laden standen türkische Männer, zeigten auf die vorbeiknatternden Trabbis, klatschten sich auf die Schenkel und lachten lauthals. Wir liefen zu Fuß bis zum Hermannplatz. Für mich war es der “Tag der Befreiung“, denn nach dieser Nacht konnte nichts mehr sein wie zuvor.

MM: Wann haben sie das erste Mal West-Berlin und die BRD besucht?

Kurz darauf fuhr ich das erste Mal mit dem Zug in den Westen - ich sollte für unsere Verlagsgründung eine Druckmaschine kaufen -, sah die Mauer von außen und erlebte so etwas wie ein “Heimatgefühl“ zu dem Land, das ich gerade verließ. In dem Moment dachte ich: Nur wer sein Land freiwillig verlassen darf, kann sich dazu bekennen.
Ich hatte damals einen 1000-DM-Schein in der Tasche, mit dem ich hungrig in Gießen ankam. Unterwegs konnte ich ihn nirgends einlösen. Zuerst fand ich es unpassend, mit so einem großen Schein aufzutreten und dann bekam ich ihn nicht gewechselt. Ich hatte Geld und konnte mir nichts kaufen! Seltsamer Westen.


MM: Was denken sie über die DDR-Shows, respektive die Ostalgie-Welle in der deutschen Medienlandschaft?


Die Ostalgie-Welle hilft auf gewisse Weise vielen, sich im Damals zu "verorten". Die Mittel dazu sind allerdings fraglich, wenn Ereignisse, Symbole und Gegenstände aus dem geschichtlichen Kontext gelöst werden. Es entsteht dadurch eine Erinnerungskultur, die unsere Wahrnehmung des Tatsächlichen verändert. Geschichte wird zum entleerten Retro-Design.


MM: Was denken sie über die Wehrpflicht?


Mir fällt dazu die Plastik "Dem unbekannten Deserteur" in Potsdam ein. Das schönste Denkmal zu dem Thema...


MM: Gab es Reaktionen auf das Buch, eventuell sogar von den im Buch genannten Personen?


Bisher waren die Reaktionen durchweg positiv. Auch von Freunden, die sich plötzlich "abstrakt" im Text wiederfanden.


MM: Was empfinden Sie den Personen gegenüber, welche als IM der Stasi akribisch über Sie Bericht erstattet haben?


Weder Hass noch Rache. Das Gefühl ist ein sehr privates. Man muss zugeben, dass man durch den Verrat verletzt worden ist.


MM: Haben sie noch Kontakt zu Freunden und/oder Kameraden von damals?


Einige Freundschaften haben gehalten. Zum Beispiel zu "Olek" und "Albrecht". Andere meldeten sich nach Erscheinen des Buches, weil sie merken, dass diese Zeit auch für sie wichtig war, wir geprägt wurden, auch in unserem Verhältnis zum damaligen Staat und zu Autoritäten überhaupt.


MM: Wie lange haben sie an dem Buch gearbeitet?


Etwa drei Jahre. Begonnen hatte ich aber schon 1983 unter dem Titel "Notizen aus der Felddienst".


MM: War es schwer einen Verleger zu finden?


Jein.


MM: Welchen Einfluss hatten sie auf die Covergestaltung?


Meine Idee zur Gestaltung wurde vom Verlag aufgegriffen. Die Form sollte dem Armee-Tagebuch entgegenkommen: "schmucklos" sein.

Im Idealfall wäre der Einband aus Einstrich-Keinstrich-Uniformstoff. Durch die Unterzeile "NVA-Tagebuch" wirkt der Titel etwas einengend, und lässt wenig Raum für die Urgroßvatergeschichte. Und vielleicht hätte ich auch den Panzer meiner Schildkröte abbilden sollen ... (lacht)